Ein Gastbeitrag von meinem Papa
Vorwort: Im letzten Jahr veröffentlichte ich in zwei Teilen ein Gespräch mit meinem Papa. Zwei Artikel, die zu den beliebtesten des vergangenen Jahres zählten. Ich muss immer schmunzeln, wenn ich wieder einmal mit positivem Feedback auf diese Blogposts angesprochen werde und an meinen Papa denke, der „Aber wieso sollte denn jemand lesen wollen, was ich sage?“ zu mir sagte, als ich in ihn um die Zustimmung für meine Artikel bat. Natürlich sprechen wir momentan auch viel über die aktuelle Situation, die für uns wie für alle anderen Familien eine Challenge ist. Immerhin wären wir normalerweise an Ostern – wie vermutlich so viele von euch – in der Heimat bei unseren Eltern. Dieses Jahr ist jedoch alles anders. Aber uns bleiben das Telefon und Face-Time – und für die Möglichkeiten unserer modernen Welt bin ich sehr, sehr dankbar. Doch zurück zu meinem Papa, der im Jahr 1940 geboren wurde und in einer völlig anderen Zeit aufgewachsen ist – und der eben auch zu der Risikogruppe zählt, die wir momentan aktuell alle von ganzem Herzen schützen wollen. Wie empfindet er diese Zeit? Zum Auftakt meiner neuen Gastbeitrag-Serie möchte ich nun das Wort an meinen Papa übergeben.
UNGEWISSHEIT. Durch die Medien, Politiker und Wissenschaftler wird man in meinem Alter – auch ohne Vorerkrankung – verängstigt. Man hört Geschichten von 80-Jährigen, deren Maschinen abgestellt werden, wenn ein Jüngerer ins Krankenhaus kommt. Natürlich möchte man niemals in solch eine Situation kommen. Ärzte und Pflegepersonal sind laut den Medien jetzt schon überfordert, was geschieht, wenn der erwartete Höhepunkt der Pandemie erreicht wird? Die Unsicherheit ist auch der Ungewissheit geschuldet, wie sich genau der Virus verbreitet, ob und welche Schutzmaßnahmen wirklich sinnvoll sind und dass derzeit kein Impfstoff gegen die Viruskrankheit vorhanden ist. Die Tatsache, dass dieser im besten Fall in einigen Monaten, oder sogar erst 2021 verfügbar sein wird. Ein weiterer Punkt ist die weltweite Ausbreitung, wie sie meines Wissens bei Grippeepidemien noch nie der Fall war. Die recht unterschiedlichen Maßnahmen in den Bundesländern oder anderen Staaten, total entgegengesetzte Meinungen von Ärzten und Experten bis hin zur Verharmlosung. Dies alles trägt zur Verunsicherung bei.
Ich verstehe nicht, warum man Buch-, Blumen-, Spielwarenläden etc. schließt. Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen könnte man die Öffnung doch erlauben – z. B. mit ein bis zwei Menschen gleichzeitig im Laden -, wie es beim Bäcker, Metzger, Obst- und Gemüsehändler der Fall ist, um viele Insolvenzen zu vermeiden. Warum lässt man nicht jüngere Menschen, die nicht zur Risikogruppe gehören, und wenn Home Office nicht möglich ist, zur Arbeitsstelle gehen, damit die Wirtschaft in Schwung bleibt? Unter der Voraussetzung, dass sie sich im Privatleben streng an die vorgegebenen Maßnahmen halten.
Ich persönlich habe das Glück, ausreichend Platz in der Wohnung zu haben, einen Garten und die Möglichkeit, ganz in der Nähe zu joggen oder Rad zu fahren. Das bleibt vielen Großstädtern in engen Wohnungen vorenthalten. Natürlich fehlt auch mir Ballsport im Freien auszuüben, kulturelle Veranstaltungen zu besuchen, in Urlaub zu fahren, Freunde einzuladen oder zu besuchen. Ich sehne mich nach der Normalität.
Nach vielen Jahrzehnten Frieden dachte ich in den letzten Wochen auch wieder an den Krieg, den ich als kleiner Junge erlebt habe. Auch an die Zeit nach 1945. Was erinnert mich in der heutigen Krise, in der man keinen Hunger leiden muss (Immer Zugang zu Essen zu haben ist ein großes Privileg unserer Gesellschaft), keine Angst vor Bomben und Artilleriegeschossen, die Männer noch bei den Familien sind und nicht an der Front, dennoch an den Zweiten Weltkrieg? Es sind die Einschränkungen, die man nach vielen Jahrzehnten Frieden nicht mehr gewohnt ist. Vielleicht auch die Angst vor der Ungewissheit, ob man selbst oder Familienangehörige die nächste Zeit überleben. Diese Angst war in Kriegszeiten immer präsent.
Es macht mich traurig, zu hören, dass es anscheinend Jugendliche geben soll, die gedankenlos oder mit böser Absicht mit der Coronakrise umgehen, die ältere Menschen verhöhnen, anhusten, anspucken, anhauchen und sie damit extrem gefährden. Wir leben hier in Deutschland in Freiheit und im Vergleich mit vielen anderen Ländern auf dieser Welt in großem Wohlstand, den alle Generationen in vollem Maße genießen. Wir verdanken diesen Wohlstand den Generationen, die das alles nach dem Zweiten Weltkrieg durch Entbehrungen, Verzicht auf jeglichen Luxus, teils in großer Armut, viel Mühe und Fleiß erschaffen haben. Etwas, das wir nicht vergessen sollten – und das zum Glück dem Großteil bewusst ist.
Hauptsache ist, dass man gesund bleibt und geduldig, bis die Krise hoffentlich bald vorbei ist. Darauf freue ich mich, so wie nach einem grauen, schneelosen Winter auf den Frühling.
Ich versuche die kritische Zeit möglichst sinnvoll zu verbringen und sie mit Aktivitäten zu überbrücken. Viel lesen, Dinge im Haus und Garten erledigen, die man immer vor sich hergeschoben hat, meinem Hobby, zu musizieren, allerdings alleine, nachgehen, besondere Kochrezepte ausprobieren, natürlich auch interessante Fernsehsendungen anschauen und etwas länger als gewohnt mit Freunden, Bekannten und Verwandten zu telefonieren.
Abschließend noch ein paar positive Aspekte, denn man sollte nie den Blick auf das Positive verlieren: Der Straßenverkehr hat erheblich nachgelassen, viele Eltern verbringen mehr Zeit mit ihren Kindern. Das geht im Alltag oftmals unter. Solidarität mit Gefährdeten findet erfreulicherweise fast überall statt. Das Streben nach Geld und Luxus steht nicht mehr an erster Stelle und die Kluft zwischen Arm und Reich ist im Moment in unserer kapitalistisch orientierten Gesellschaft so gut wie aufgehoben.