Freitagabend. Wir sind zum Grillen bei unseren Freunden im Münchner Norden eingeladen. Wir müssen gleich los. Ich stehe im Bad und mache mich fertig, als Chris mich ins Wohnzimmer ruft. Er hat eine Eilmeldung auf sein Handy bekommen. „Schüsse in München“. Wir schalten den Fernseher an, sitzen gebannt vor den Nachrichten. Es wird von Schüssen im Olympia-Einkaufszentrum berichtet. Meine Freundin schreibt mir, dass sie auf dem Heimweg mit der U-Bahn auf der Linie des Einkaufszentrums gestrandet ist. Die Linie wurde gesperrt. Wir machen aus, dass wir erst einmal die Lage abwarten und später losfahren, sie erst einmal sicher nach Hause kommen muss. Noch wissen wir nicht genau, was passiert ist. Schnell wird klar, dass wir an diesem Abend sicher nirgendwo mehr hinfahren werden. Denn plötzlich gibt es eine zweite Meldung: „Schüsse am Stachus“. Die Lage ist außer Kontrolle, die öffentlichen Verkehrsmittel stellen ihren Betrieb ein. Im Minutentakt kommen Nachrichten „Geht es euch gut? Seid ihr zuhause?“ Im Restaurant gegenüber sind alle Tische belegt, kurz darauf sitzt niemand mehr da. Wir sind wie gelähmt, mittendrin und doch erfahren wir alles aus den Nachrichten, die alle paar Minuten von einem neuen Ort berichten, an dem Schüsse gefallen sein sollen. Am Stachus bricht eine Massenpanik aus.
Es ist nicht Paris, nicht Nizza, es ist München. Auch wenn mich die Anschläge der letzten Wochen und Monaten zutiefst betroffen haben, so ist es ein anderes, lähmendes Gefühl, wenn sich solch ein schreckliches Ereignis in der eigenen Stadt zuträgt. Ausgerechnet München, die Stadt, in der man sich immer so unglaublich sicher fühlt.
Unsere Nachbarn klingeln bei uns, wir sitzen in ihrer Wohnung zusammen und starren auf unsere Handys und den Fernseher. Schüsse am Stachus, Schüsse am Isartor, am Odeonsplatz, auf dem Tollwood Festival. Wir schauen aus dem Fenster. Die Straße ist komplett leergefegt, die Stadt steht still. Niemand weiß, was wirklich los ist. Die Situation ist surreal. Ein Hubschrauber kreist über unser Viertel. Es heißt, mehrere Täter sind bewaffnet auf der Flucht. Die Situation wird als akute Terrorlage bezeichnet.
Die Schattenseite von Social Media. Meldungen über potentielle Schauplätze im Stadtgebiet verbreiten sich wie ein Lauffeuer. So viel Halbwissen wird geteilt. Es geht sogar soweit, dass Fake-Bilder von Toten gezeigt werden. Wer tritt so etwas los? Ist es die immer größer werdende Angst vor Terror in unserer Heimat? Oder ein in solch einer Situation zutiefst verabscheulicher Mitteilungsdrang?
Und natürlich wird sofort unsere Kanzlerin auf Facebook und Twitter beschimpft, die Flüchtlingspolitik für dieses schreckliche Ereignis verantwortlich gemacht. Mir wird schlecht, wenn ich Kommentare wie „Mutti ist Schuld, weil sie die Türen für dieses Pack aufgemacht hat“ lese. Blinder Hass auf die Menschen, die in den letzten Monaten nach Deutschland gekommen sind. Es wird wieder einmal ignoriert, dass Flüchtlinge auf der Suche nach Schutz vor genau diesem Terror nach Deutschland kommen. Aber klar, natürlich muss sofort ein Schuldiger ausgemacht werden. Wie können Menschen nur so dumm sein? Zumal es zu diesem Zeitpunkt nicht einmal Hintergründe zum Täter und dessen Motivation gibt. Amoklauf oder Anschlag, Freitagnacht weiß dies noch niemand. Doch egal ob islamistischer Terror, Rechtsradikalismus oder die Tat eines psychisch gestörten Einzelnen, diese Tat hat München schwer getroffen und lässt alle fassungslos zurück. Und welcher Ausnahmezustand gestern in München ausgesbrochen ist, beweist: Die Angst ist groß.
Denn plötzlich ist es passiert. Allen wurde schmerzhaft vor Augen geführt, dass „es“ jederzeit überall passieren kann. Auch in der „sichersten Stadt der Welt“, wie ich München nach unserer Weltreise immer wieder beschrieben habe. Alle Großveranstaltungen für das Wochenende sind abgesagt. Und das ist auch gut so. Denn ausgelassenes Feiern auf Festivals und Parties wäre so falsch am heutigen Tag. Die Sonne scheint, das Wochenende beginnt, doch immer noch liegt große Anspannung in der Luft.
Wir trauern um die Opfer, denken an die Verletzten und die Angst der gestrigen Nacht steckt in den Knochen. Aber wir dürfen um Himmels Willen nicht zulassen, dass diese Angst bleibt. Sie darf uns nicht beherrschen! Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, keine Angst vor Menschenansammlungen, dem Aufenthalt auf öffentlichen Plätzen haben. Und wir dürfen keine Angst vor ausländischen Mitmenschen haben. Bitte lasst das nicht zu!
Mein tiefstes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer.
Liebe Münchner, bitte lasst euch nicht unterkriegen! Ich bin froh, in solch einer wundervollen Stadt zu leben, die gestern so großartig zusammengehalten hat, die zusammengerückt ist und unter #offenetuer all diejenigen aufgenommen hat, die aufgrund des lahmgelegten Verkehrssystems gestrandet waren. Der Zusammenhalt und die Hilfsbereitschaft sollte uns in Erinnerung bleiben und positiv nach vorne schauen lassen.