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Zwischen Enttabuisierung und Oversharing – wo bleibt die Privatsphäre?

Wir leben in einer Zeit, in der es fast keine Tabus mehr gibt – zumindest nicht online. Und das ist, im besten Sinne, eine kleine Revolution. Es ist wichtig, dass wir offener werden. Dass wir über Dinge sprechen, die lange unterdrückt oder verschwiegen wurden. Stichwort: Mentale Gesundheit. Viel zu lange wurde kaum über Depressionen gesprochen, über die Struggles von Menschen mit Neurodiversität oder über die Folgen von Fehlgeburten. Und das, obwohl all das so viele betrifft.

Auch wenn wir noch einen langen Weg vor uns haben – gerade, was die Gleichstellung psychischer mit körperlichen Erkrankungen betrifft –, ist es ein wichtiger und richtiger Schritt, dass heute mehr Menschen darüber sprechen. Zu wissen, dass man nicht allein ist, kann so viel verändern. Auch mir hat dieses Wissen in einer sehr schweren Zeit unglaublich geholfen. Es tat mir gut, mit Gleichgesinnten zu sprechen. Und davon gibt es mehr, als man denkt. Nur wurde eben jahrelang kaum darüber gesprochen. Das ändert sich gerade – und das ist so, so wichtig.

Wir sollten alle viel öfter darüber sprechen, wie es uns wirklich geht. Mit Freund:innen, der Familie, Menschen, die uns nahe stehen. Eine Kolumne zur so wichtigen Frage „Wie geht es dir wirklich?“ findet ihr übrigens hier.

Aber – und jetzt kommt ein großes Aber: Trotz meiner Freude darüber, dass gewisse Themen raus aus der Tabuzone kommen, finde ich, dass mittlerweile in der Social-Media-Welt oftmals über das Ziel hinausgeschossen wird. Ich glaube nicht, dass immer über alles mit allen gesprochen werden muss.

Wann ist der Moment, in dem gut gemeinte Offenheit in Selbstinszenierung oder sogar in problematische Grenzüberschreitungen kippt?

Nicht falsch verstehen: Wir sollten über Themen sprechen, die jahrelang tabuisiert wurden, die viele betreffen, die normal sind – auch wenn sie lange als „unnormal“ galten. Neben mentalen Erkrankungen gehören dazu zum Beispiel bewusst gewählte Kinderlosigkeit oder die Periode der Frau. Wie absurd, dass es jahrelang so gar kein Thema war, wie es Sportlerinnen geht, wenn die Menstruation ausgerechnet auf den Tag eines Wettkampfs fällt.

Auch wenn ich hier durchaus ab und an sehr persönliche Dinge teile, war mir meine Privatsphäre schon immer extrem wichtig. Niemals würde ich hier Dinge thematisieren, die mir zu privat sind. Was nicht heißt, dass diese Dinge keine wichtige Rolle in meinem Leben spielen. Aber sie gehören mir. Niemals werdet ihr hier etwas über unser Sexleben lesen. Auch wenn Social Media aktuell suggeriert, es sei das Normalste der Welt, beim entspannten Brunch mit einem Sexspielzeuganbieter zu sitzen und sich mit teils fremden Menschen im ganz und gar nicht kleinen Kreis über sexuelle Vorlieben auszutauschen.

Oder die intimsten Momente live zu streamen, ja sogar die Geburt eines Kindes im Detail zu zeigen. Generell: Es wird wirklich alles aus dem Familienalltag geteilt. Kinder in jeder noch so privaten Situation gezeigt. Die Tabugrenzen werden von Erwachsenen verschoben – nicht von den Kindern selbst.

Und noch einmal: Jede:r kann machen, was er oder sie möchte. Und jede:r zieht die Grenze für das, was zu privat ist, anders. Aber mein Eindruck ist: Wir schlittern gerade von einem Extrem ins nächste. Gefühlt ist bei vielen Influencer:innen nichts mehr tabu. Alles wird geteilt. Ungefiltert – und oft ohne Triggerwarnung.

Manchmal bleibt da dieser komische Beigeschmack: Wird das jetzt geteilt, um aufzuklären? Oder doch eher, um zu schockieren – oder Reichweite zu generieren? Es gibt Momente, die brauchen eigentlich einen geschützten Rahmen. Einen Raum, in dem man sich sicher fühlt. Kein Publikum.

Zurück zur Privatsphäre: Es gibt viele Themen, die bespreche ich nur mit Chris, mit meiner besten Freundin oder im Familienkreis. Dinge, die in meinem Leben wichtig sind – aber nicht hierher gehören. Nicht, weil ich mich schäme, sondern weil sie eben nur mich, meine Beziehung oder meinen engsten Kreis betreffen.

Jede:r sollte über das sprechen können, worüber er oder sie sprechen möchte. Und ja, es gibt so viele Themen, die endlich stärker ins gesellschaftliche Bewusstsein rücken sollten. Aber heißt das, dass wir unser gesamtes Leben komplett transparent machen müssen? Ich persönlich möchte dies nicht.

Oder – eine andere Perspektive – braucht es vielleicht genau dieses „Too Much“, damit wir langfristig tatsächlich alle Tabus brechen können?

Ich möchte das Wort an euch übergeben: Wie nehmt ihr die Entwicklung wahr? Welche Tabuthemen sollten eurer Meinung nach noch viel stärker angesprochen werden – und über welche würdet ihr niemals öffentlich sprechen? Ich bin wie immer sehr gespannt auf eure Gedanken!

PS: Lasst uns als Gesellschaft endlich das Thema Homosexualität im Profisport (Stichwort: Fußball) aus der Tabuzone holen.


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3 Kommentare

  • 13
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    25
    Hannah

    Das denk ich mir jedes Mal, wenn ich wieder den Moment einer Verlobung oder die komplett ungefilterten Hochzeitsvideos auf Instagram sehe. 🫣

  • 13
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    2025
    25
    Gina

    Ich bin oft entsetzt, wenn ich sehe, welche intime Momente auf Instagram und Facebook geteilt werden.

  • 17
    04
    2025
    25
    Kim

    Ich sehe es sehr ähnlich. Gerade bei dem Thema Kinder bin ich immer so schockiert wie viel über sie geteilt wird. Sie dürfen/können nicht mitentscheiden & müssen, wenn sie älter sind, damit leben das so viel von ihnen geteilt wurde.

    Letztens habe ich von einer Person gelesen, die alte Podcastfolgen gelöscht wurde, weil ihr es nachträglich zu privat war. Das finde ich so stark!

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