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Über Vorurteile und Schubladendenken

Ich bin in einem 6.000 Einwohner-Dorf aufgewachsen. Neulußheim in Baden-Württemberg. Davon haben wahrscheinlich die wenigsten von euch jemals etwas gehört. Wohl eher von Hockenheim, der Kleinstadt nebenan, in der ich auf die Schule gegangen bin und die meiste Zeit meiner Jugend verbracht habe. Hockenheim ist zwar durch die Formel 1 weltweit bekannt, aber – und zwar ein großes ABER – eine Kleinstadt. Ein großes Dorf, sozusagen. Ich habe mich dort in meiner Kindheit und Jugend pudelwohl gefühlt, hatte eine wirklich tolle Zeit.

Bis ich an einem Talentwettbewerb teilnahm. Die Bravo Girl Talents. Ein klein bisschen zu vergleichen mit dem heutigen Germany’s Next Topmodel – inklusive ziemlich viel Aufmerksamkeit und großer TV Show im Finale. Nur ging es nicht nur ums Modeln, sondern um Talente jeglicher Art. Ich war damals leidenschaftliche Sängerin und bewarb mich mit einer selbstaufgenommen Kassette (Ja, rund um die Jahrtausendwende nahm man noch Kassetten auf).  Ich war übrigens bei Weitem nicht die Einzige von meiner Schule, die damals teilnahm, aber ich kam weiter – was bei tausenden Bewerbungen sicherlich auch viel mit „zufälligerweise aus einem Stapel gezogen werden“ zu tun hatte. Das war damals ein wirklich großes Ding auf meiner Schule und plötzlich kannte jeder meinen Namen.

Und jeder – und da wären wir beim Thema der heutigen Kolumne – hatte eine Meinung über mich. Ich muss dazu sagen, dass ich damals eher schüchtern war – und plötzlich wurde das von allen Seiten als „arrogant“ ausgelegt. Jeder der mich kennt weiß, dass Arroganz eine Eigenschaft ist, die ziemlich wenig mit meinem Charakter zu tun hat. Aber der Vorurteilsstempel war fest aufgedrückt und ich entschloss, sobald ich mein Abi in der Tasche haben würde, weit, weit weg aus der Kleinstadt zu ziehen. In eine möglichst große Stadt, in der man anonym leben konnte und nicht jeder über jeden eine Meinung hat – ohne ihn überhaupt wirklich zu kennen. Lustigerweise ist das in der Bloggerwelt manchmal gar nicht so unähnlich, aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Und auch wenn ich in sehr jungen Jahren bereits lernte, wie schlecht und falsch Vorurteile sind, so muss ich offen und ehrlich sagen, dass auch ich manchmal zu schnell urteile. Auch wenn ich mir immer wieder vornehme, dies auf gar keinen Fall zu tun. Auch ich ertappe mich manchmal dabei, wie ich jemanden in eine Schublade stecke – nur um kurz darauf zu merken, wie sehr ich mich geirrt habe. Positiv wie negativ – selten werden schnell gefasste Vorurteile bestätigt.

Vorurteile im Bezug auf Menschen sind nur selten richtig und stets unreflektiert, denn es ist schlicht und einfach unmöglich, sich eine fundierte Meinung über einen fremden Menschen nur aufgrund eines äußeren Erscheinungsbildes oder einer einzelnen Tat – die man aus der Ferne beobachtet hat – zu bilden.

„Ohne Prüfung der objektiven Tatsachen voreilig gefasste oder übernommene, meist von feindseligen Gefühlen gegen jemanden oder etwas geprägte Meinung“ ,so übrigens die Definition von „Vorurteil“ im Duden.

Seit ich begonnen habe, über Mode zu schreiben, prallte mir unendliche Male das Vorurteil entgegen, ich sei oberflächlich. Natürlich nicht nur ich: Alle Menschen in meiner Branche seien oberflächlich.

Doch mal ehrlich: Wie unreflektiert ist es bitte, einen Menschen nur aufgrund eines Jobs und einer Leidenschaft in eine so negative Schublade zu stecken?

Ich habe in dieser Branche so viele tolle Menschen kennenlernen dürfen, die soooo weit davon entfernt sind „oberflächlich“ zu sein – obwohl Mode eine große Rolle in ihrem Leben spielt. Und so ist es doch in fast allen Bereichen. Der eine Lehrer ist privat ein leidenschaftlicher Familienmensch mit fünf Kindern, der andere kann Kinder eigentlich gar nicht leiden, der eine Sportler akzeptiert nichts anderes als einen Sieg, der andere ist ein guter Verlierer, ein Arzt auch in seiner Freizeit der aufopferndste Mensch überhaupt, der andere empathielos. Manche Menschen leben ihren Job so sehr, dass sie auch privat von nichts anderem sprechen – andere lassen ihn am Abend im Büro und sind froh, keinen Gedanken daran verschwenden zu müssen.

Jeder Mensch ist anders, und niemanden kann man einzig und allein aufgrund seiner Optik, seines Berufs oder einer bestimmten Vorliebe (natürlich gibt es hier auch Ausnahmen) in eine Schublade stecken. Jeder Mensch hat so viele Facetten – wie soll er da in eine einzige Schublade passen?

Und dennoch stecken wir bestimmte Personengruppen, ja ganze Nationen in bestimmte Schubladen. Dabei sehen wir doch tagtäglich in unserem eigenen Umfeld, wie unendlich unterschiedlich Menschen sein können – obwohl alle beispielsweise in der gleichen Stadt wohnen. Wie kann man da ein komplettes Land in eine Schublade stecken?

An dieser Stelle würden mich sehr eure Gedanken zu diesem Thema interessieren: Mit welchen Vorurteilen gegenüber eurer Person müsst ihr euch auseinandersetzen? Und in welchen Situationen ertappt ihr euch, zu schnell über andere Menschen zu urteilen?


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5 Kommentare

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    2018
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    Ivi

    Liebe Sarah, ich kenne das auch nur zu gut und finde es sehr schade, dass man immer noch mit so vielen Vorurteilen konfrontiert wird, wo doch angeblich die Gesellschaft immer offener wird für alles. Bei mir hat das schon sehr früh angefangen mit 8 Jahren als wir nach Österreich gezogen sind und auch heute nach 27 Jahren muss ich mich mit Vorurteilen Serben gegenüber herumschlagen. Aber auch wegen meiner Figur (eher curvy und darum die ständige Annahme, man sei gleich schwanger) und meinem Hobby (über Blogger gibt es inzwischen soooo viele Vorurteile und alle werden in einer Schublade gesteckt, was super schade ist.) begegnen mir Leute oft mit Vorurteilen. Was hilft? Sich ein dickes Fell zuzulegen und ein gutes Selbstbewusstsein und auf Meinung anderer nicht viel acht geben. Falls man sich selber mal dabei ertappt über jemanden zu schnell zu urteilen, einfach an eigene Erfahrungen denken und der Person eine reale Chance geben .Ein toller Post von dir liebe Sarah!!! GLG Ivi

    http://www.naomella.com

  • 15
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    2018
    18
    Rosa

    Liebe Sarah,

    auch mir erging es in der Kleinstadt ähnlich. Ich hatte eine Freundin,die nichts anbrennen ließ und somit wurde gleich assoziiert, ihre Freundin,in dem Fall ich, ist genau so. Ich war aber nur schüchtern und fand es aufregend mit ihr etwas zu erleben,statt daheim zu versauern. Da die jungen Männer bald merkten, dass ich kein Freiwild war,wurden böse Gerüchte in die Welt gesetzt und jeder hat es geglaubt. Das alles tat damals unheimlich weh und genau deswegen wollte ich meine Ausbildung auch in einer Großstadt machen. Gesagt,getan.Wie du schon schreibst, hier lebt man freier. Doch letztendlich hat es erst mein Mann mit seiner offenen und ehrlichen Meinung geschafft, mir Selbstvertrauen zu geben,was wohl das Wichtigste ist, wenn sich jemand negativ über dich äußert. In der letzten Weiterbildung meinte die Dozentin,man brauch z.B. Mind. ein Jahr um auf Arbeit angekommen zu sein und jeden einzelnen wirklich zu kennen. Jede Facette zu durchblicken,wer es ehrlich meint oder dir nur ins Gesicht lächelt und hinter deinem Rücken schlechte Dinge erzählt.
    Ich frage mich, wieso wir Menschen eigentlich solche Unarten an uns haben und wieso wir nicht so unbefangen wie Kinder aufeinander zugehen können…ganz ohne Vorurteile…

  • 15
    07
    2018
    18
    Mari

    Ich glaube, komplett frei wird man sich nie von Vorurteilen machen können… leider. Aber man kann immer dran arbeiten, nicht immer gleich die Schublade aufzumachen. Während des Studiums bin ich in meinem naturwissenschaftlichen Studiengang wohl das eine oder andere mal als „Schmink-Tussi“ und als unnahbare oder arrogante Person abgestempelt worden… letzteres lag auch einfach daran, dass ich in neuen Situationen unter neuen Leuten einfach sehr zurückhaltend und keine entspannte Small-Talkerin bin. Arrogant bin ich aber wirklich so gar nicht. Aber im Gegenzug muss ich mir wirklich genauso an die eigene Nase fassen… ich war (und bin es manchmal immer noch) recht schnell mit dem „Nerd-Stempel“ dabei. Ist aber auch kein Stück besser besser als der Tussi- oder Arrogant-Stempel… Vorurteile sind einfach doof :-)

  • 16
    07
    2018
    18

    Ich halte mich selber inzwischen nicht mehr als sehr vorurteilsbehaftet, war aber früher jemand der schnell geurteilt hat. Aber gerade jetzt, als Lehrerin, merke ich immer wieder, wie groß das Schunladendenken auch 2018 noch ist: Als Lehrer darf man kein öffentliches Hobby wie das Bloggen haben. Als Respektsperson darf man keine modischen Klamotten tragen. Als Vorbild darf man nicht mehr auf Partys gehen. Und gerade weil ich es jeden Tag selbst erlebe, versuche ich genau das meinen Schülern mitzugeben: Urteilt nicht. Macht euch ein Bild und seid offen.

    Liebe Grüße,
    Anni

  • 17
    07
    2018
    18
    Marla

    Ich musss berufsbedingt schnell einordnen können, wie jemand in etwa tickt. Und ja, da gehen auch mal Schubladen auf, die tatsächlich passen. Aber man sollte immer auf dem Radar haben, niemanden mit allen Facetten für alle Zeiten darin festzunageln. Vor allem aber gilt: Leben und leben lassen. Was mir gefällt, muss anderen nicht gefallen und umgekehrt. Spaß an Mode z. B. hat für mich nichts Oberflächliches; er gehört zu meiner Persönlichkeit wie das Interesse an tausend anderen Dingen. Und wieso sollten Mode-Blogger oberflächlicher sein als z. B. Sportreporter?

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