Es ist ein paar Jahre her, dass das Wort Ghosting immer präsenter wurde. Damals ging es fast ausschließlich um Dating. Zwischenmenschliche Beziehungen im privaten Bereich. Doch der im Dating-Kontext entstandene Begriff Ghosting spielt auch eine immer größere Rolle in der Arbeitswelt.
Heute möchte ich über die mittlerweile großen Ausmaße von Ghosting im Job schreiben. Egal, mit wem ich in den letzten ein, zwei Jahren (im Sinne von „nach Corona“) sprach, jede/r hatte eine Geschichte zu erzählen. Von dem Kunden, der sich mitten im Projekt nicht mehr meldete, der Bewerberin, die eine Zusage bekam und dann abtauchte oder sogar bereits im Arbeitsverhältnis einfach nicht mehr erscheint. Und auch uns passiert es mittlerweile erschreckend oft: Man wird mitten in den Verhandlungen oder sogar schon konkreten Planungen für ein Projekt plötzlich geghostet. Die andere Person ist einfach nicht mehr erreichbar, obwohl der- oder diejenige nach wie vor noch in dieser Position arbeitet. Ein Beispiel: Wir bekommen eine Anfrage, senden ein Angebot, die zwischengeschaltete Agentur sagt, dass der Kunde zu diesen Konditionen zusammenarbeiten möchte, und plötzlich hören wir nie wieder was. Egal, wie oft wir nachfragen.
Jedem von uns ist schon einmal eine Mail durchgerutscht. Das ist menschlich. Insbesondere, wenn die Anzahl an Spam und in keinster Weise zum individuellen Business passenden Anfragen täglich zunimmt. Ich muss auch offen und ehrlich sagen, dass ich mir auf manche Fragen bewusst nicht die Mühe mache, eine Antwort zu formulieren. Zum Beispiel, wenn die Anfragemail an einen Herrn Loves adressiert ist und man merkt, dass die gleiche KI-generierte Nachricht an 1.000 andere Personen rausging. Oder wenn es um Kinderspielzeug geht und die Person in der Anfrage von unseren süßen Kindern (Meint sie vielleicht Fiete?) schwärmt, die sie auf unserem Instagram Account gesehen haben will. Solch eine Mail rutscht auch mal absichtlich durch. Doch auch wirklich relevante Mails können einmal übersehen werden, wenn sie inmitten von zahlreichen Newslettern ankommen, man sie versehentlich am Smartphone anklickt und sie als gelesen angezeigt werden, obwohl man sie noch gar nicht durchgelesen hat. Ist alles schon vorgekommen. Fragt der Absender nach, antworte ich natürlich umgehend und entschuldige mich.
Dass Verhandlungen an sich mittlerweile deutlich länger dauern und viele Kontakte viel unverbindlicher („Wir haben Interesse, ich melde mich voraussichtlich irgendwann im Laufe des Jahres“) wurde, habe ich mittlerweile akzeptiert. Auch wenn ich es sehr schade finde. Früher wurden Projekte meist innerhalb weniger Tage engetütet, mittlerweile müssen Abstimmungen durch so viele Instanzen gehen, dass man oft zwei, drei Monate auf eine konkrete Zu- oder Absage wartet. Oftmals hat man das Gefühl, man wird warmgehalten, während der potentielle Kunde sich Optionen offen hält.
Unsere mobile Welt macht es so einfach, unverbindlicher zu sein. Kaum persönliche Treffen, mehr digitaler Kontakt. In den Corona-Jahren ist all das noch viel extremer geworden. Warum? Das wüsste ich manchmal auch gerne, denn eigentlich sollten die Umstellung vom Großraumbüro zum Home Office nichts an der Arbeitsmoral ändern.
Mittlerweile wissen wir schon, dass wir von zehn konkreten Anfragen, bei denen mehrere Mails hin und hier geschickt wurden und wir somit bereits wirklich Zeit investiert haben, von mindestens drei nie wieder etwas hören werden. Manchmal bekomme ich direkt ein ungutes Gefühl, wenn ich mich „traue“, eine unangenehmere Frage zu stellen (zum Beispiel, ob wir für uns nicht passende Konditionen anpassen können), da klar ist, dass damit das Ghosting beginnt.
Und da bringt der Griff zum Telefonhörer (der in der heutigen Zeit ja immer seltener wird) auch meist recht wenig. Entweder will die Person nicht erreicht werden, oder aber es wird mit einer Ausrede kurz vertröstet, um sich daraufhin wieder nicht zu melden.
Ich persönlich muss ehrlich sagen, dass es mich deutlich mehr belastet, wenn ich von einem vielversprechenden Projekt gar nichts mehr höre, als wenn ich eine kurze und knappe Absage bekomme. Wir sind doch alle erwachsen und da sollte es kein Problem sein, auf Augenhöhe einen Absagegrund zu kommunizieren. Oder einfach nur abzusagen. Kurz und knapp. Oder nicht? Ist die Angst vor einer Konfrontation so groß, dass man lieber untertaucht und in Kauf nimmt, dass man immer wieder Nachfragen bekommt?
An dieser Stelle möchte ich das Wort an euch übergeben und bin sehr gespannt auf eure Erfahrungen: Seid ihr schon einmal inmitten eines Projektes geghostet worden? Oder habt ihr vielleicht auch einmal selbst ganz bewusst eine andere Person im Job geghostet? Wenn ja, aus welchem Grund?