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Über die Maskenpflicht,
Egoismus und das Auseinanderdriften
unserer Gesellschaft

Ich habe den Titel der heutigen Kolumne bestimmt zwanzig Mal umgeschrieben, weil ich es so unglaublich schwierig fand, deren Inhalt in wenige Worte zu fassen.

Doch worum geht es eigentlich? Vor zwei Monaten hatte ich bereis ein Zitat des Comedian Shahak Shapira in meinem Update mit euch geteilt. Um diese Kolumne zu beginnen, möchte ich es wiederholen:

“Stell dir vor es gibt eine weltweite Pandemie, aber anstatt dich glücklich zu schätzen, in einem der stabilsten Länder der Welt zu leben, gehst du auf die Straße, weil du keine Lust hast beim Einkaufen deinen Mund 5 min zu bedecken. Deutschland hat Deutschland nicht verdient.”

Das war im August, als man in Deutschland fast keine Einschränkungen mehr hatte. Man durfte innerhalb Europas reisen, sogar größere Feiern waren erlaubt und bis auf die Maskenpflicht beim Einkaufen konnte man seinen Alltag fast ganz normal – natürlich nicht ganz unbeschwert (darüber hatte ich hier geschrieben) – verbringen. Und damit hatten (und haben auch jetzt) wir vielen anderen Ländern viel voraus. Doch in den Augen einer leider gar nicht sooo kleinen Minderheit waren das Verbot von Massenveranstaltungen und die Maskenpflicht das Schlimmste, was unserer Demokratie passieren konnte. Erst kürzlich sagte ich zu Chris: „Man merkt, dass unsere Generation, sowie ein Großteil der Generation vor uns, nie große Freiheitseinschränkungen kennenlernen musste.“

Oder viele Mitmenschen haben offensichtlich die DDR Zeit geschweige denn die Zeit des Zweiten Weltkriegs komplett vergessen. Wie kann man nur allen Ernstes die aktuellen Corona Regeln mit dem Dritten Reich vergleichen?

Das Recht auf Meinungsfreiheit ist offensichtlich ein hohes Gut in unserer Demokratie, sonst könnte momentan nicht jeder Coronaleugner auf Social Media seine Meinung hinausbrüllen. Dennoch wird auf die Diktatur geschimpft, die ihnen den Mund verbietet. ???

Wären die sozialen Medien nicht Teil unseres Jobs, ich würde sie die nächsten Monate komplett meiden. In den letzten Wochen habe ich ein paar Mal den „Fehler“ gemacht, mir Kommentare unter den Facebook-Meldungen verschiedener Nachrichtenportale rund um neue Regelungen, Statements der Kanzlerin etc. intensiver durchzulesen. Und ich konnte einfach nicht fassen, wie groß die Wut vieler, vieler Mitmenschen mittlerweile ist. Wenn auf Facebook oder Telegram (mal eine kurze Frage am Rande: Wer nutzt eigentlich Telegram?) steht, dass die Erde eine Scheibe ist und die Mächtigen der Welt (allen voran das omnipräsente Feindbild Bill Gates) das mit einer erfundenen Corona-Pandemie vertuschen wollen, dann wird das eher für bare Münze genommen als die Möglichkeit, dass die Pandemie eine Tatsache ist.

Worum es mir aber heute eigentlich geht: Es ist eine Sache, ob man an verrückte Verschwörungstheorien glaubt und alles im Zusammenhang mit Corona für Schwachsinn hält. Aber es ist aktuell nunmal eine Regel, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen und Abstand zu halten. Ist man Teil unserer Gesellschaft, dann sollte man sich an diese Regeln halten. Aus Vernunft und Rücksicht auf unsere Mitmenschen.

Es schockiert mich, wie ignorant viele Menschen aktuell mit diesen Regeln umgehen. Und die Erfahrungen, die man tagtäglich damit macht. Wie man im Supermarkt eineinhalb Meter Abstand hält und eine Frau ganz energisch ihren Einkaufswagen in die Lücke zwischen uns und die Person davor schiebt – und uns komplett ignoriert, wenn wir dies ansprechen. Wie die Gruppe am Flughafen in Griechenland viel zu nah an anderen Fluggästen steht und alle Masken provokativ unter dem Mund hängen. Oder der Mann, der im Flugzeug den Mund-Nasen-Schutz immer in dem Moment wieder runterzieht, in dem die Stewardess an ihm vorbeigelaufen war. Anstatt einfach dankbar zu sein, dass man auch zum jetzigen Zeitpunkt an einem schönen Ort urlauben durfte. So viel Hass, so viel Ignoranz, so viel Egoismus, das macht mich wirklich traurig. Diese Pandemie legt auch zahlreiche Probleme unserer Gesellschaft offen – und lässt sie zum Teil immer weiter auseinander driften.

Versteht mich nicht falsch, auch ich kann nicht jede Regelung zu 100% nachvollziehen. Und es ist nicht immer ganz einfach, jeden neuen Schritt der Regierung zu verstehen, wenn die Hälfte der Experten den Schritt als richtig, die andere ihn als falsch bezeichnet. Es ist absolut okay, Maßnahmen kritisch zu hinterfragen. Insbesondere, wenn es wie aktuell einen Regel-Flickenteppich gibt und man nicht mal mehr wirklich weiß, was man darf und was nicht.

Dennoch glaube ich selbstverständlich an „das große Ganze“. Vorsicht ist besser als Nachsicht – das würde ich ganz genauso unterschreiben. Auch an uns gingen die letzten Monate ganz und gar nicht spurlos vorüber. Aber: Ich würde im Leben nicht auf die Idee kommen, der Regierung böse Willkür vorzuwerfen – geschweige denn eine riesige Verschwörung gegen das Volk. Vielleicht werden manche Regelungen aus übertriebener Vorsicht und Unwissen im Bezug auf eine unbekannte Krankheit aufgestellt. Aber diese Vorsicht hat unserem Land bis jetzt sehr gut durch die Pandemie geholfen.

Spreche ich mit Freunden und Bekannten aus anderen Ländern, fällt fast immer der Satz „Habt ihr ein Glück, in Deutschland zu sein“. Denn ganz objektiv gesehen dürfen wir Deutschen aktuell nicht nur so viel freier als die Einwohner so vieler anderer Länder unserem Alltag nachgehen, wir sind bis jetzt auch ausgesprochen gut durch die Pandemie gekommen. Wir haben ein verhältnismäßig außergewöhnlich gutes Gesundheitssystem, Sozialleistungen, von denen viele Bürger anderer Länder nicht einmal zu träumen wagen. Dass wir alle in irgendeiner Form Verzicht üben mussten und Einschränkungen hatten, ist vollkommen klar. Nichtsdestotrotz bin ich von Herzen dankbar, die aktuelle Situation in einem Land wie Deutschland zu erleben. Oh ja: Es geht definitiv schlimmer!

Was ich so absurd finde ist, dass bei all dem Hass gegen unsere Politiker nicht ein einziges Mal über den Tellerrand geschaut wird, wie es in anderen Ländern aussieht. Angela Merkel, Jens Spahn , Markus Söder und Co sind in Augen vieler Mitbürger „die schlimmsten Verbrecher, die unbedingt weggesperrt werden müssen“. Warum genau? Weil wir im Supermarkt einen Mund-Nasen-Schutz tragen müssen? Ist das tatsächlich solch eine schreckliche Qual? Ernsthaft?

Meine Sorge vor dem, was gesellschaftlich in den kommenden Monaten auf uns zukommen wird, ist fast noch größer als die vor dem Coronavirus an sich. Wie sind eure Gedanken zu diesem Thema? Ich freue mich wie immer, wenn ihr sie in den Kommentaren mit uns teilt!


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11 Kommentare

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    Uli

    Ich hab das Gefühl, die Leute hier sind teilweise so satt und so im Überfluss, dass sie komplett den Blick für alles verloren haben. Ich weiß noch genau als ich an dem Tag, als die ganzen Maßnahmen das erste mal so richtig angekündigt wurden (es war März oder April) kurz das Gefühl hatte zu ersticken, weil ich Angst bekam, dass man bald wie in Italien und Spanien nicht mal mehr für Spaziergänge raus darf. Da war das kurz im Gespräch, weil sich viele nicht an die Regeln hielten, nur zu zweit rauszugehen. Da ich allein lebe und von zu Hause arbeite war das für mich so schrecklich mir vorzustellen, nicht mal mehr spazieren gehen zu dürfen. Und jetzt ist für mich alles schon lange wieder fast normal mit Ausnahme von der Maske und Umarmungen und ich fasse es einfach nicht, wie sich die Leute teils verhalten. In der U Bahn letztens in München auch wieder lauter Jugendliche ohne Maske, haben extra laut rumgelärmt wahrscheinlich um zu provozieren. Ich hab einfach das Abteil gewechselt und nichts gesagt, weil ich Angst hatte, möglicherweise von ihnen geschlagen zu werden :/
    Auch im Supermarkt die Leute, die sich noch in den Gang quetschen müssen oder an der Kasse dicht hinter mir stehen.

    Ich verstehe das Verhalten schon lange nicht mehr, ich mag die Maske auch nicht, ja sie nervt mich auch manchmal, aber mein Gott, das sind immer nur ein paar Stunden und ich hab das Gefühl die, die sie beruflich jeden Tag tragen müssen regen sich weniger auf als die, die einmal die Woche damit einkaufen gehen.

    Ich habe auch in Restaurants schon schlechtes erlebt, ein Besitzer eines meiner Lieblingsrestaurants erzählt gern Verschwörungstheorien, steht viel zu dicht bei den Tischen, labert die Gäste mit halb runtergelassener Maske voll und fasst auch die Gäste dauernd an (hat er vorher auch gemacht aber da hat es ja keine Auswirkungen gehabt). Da gehe ich jetzt nicht mehr hin, mich hat er als Gast verloren.

    Grade im Winter will ich nur da essen gehen wo ich weiß, dass die Gastronomen das ganze auch ernst nehmen.

    Ja ich versteh dich und deine Frustration sehr gut.
    Ich habe vorhin diesen Beitrag gelesen: https://www.instagram.com/p/CGMeAhjjn-O/?igshid=sctjx45lq4ah

    Ist vom Deutschlandfunk über die Corona-Situation im Jemen. Da kann es einen nur Schaudern und anwidern, wie sich manche Mitmenschen verhalten. Auch dass der Wendler jetzt geistig abgedriftet ist hat mich irgendwie geschockt, ich kann gar nicht sagen warum, aber hielt das alles erst für einen Scherz.

    Ich hoffe, dass es irgendwann für alle genug der ffp3 Masken gibt, dann kann mir das Verhalten der Mitmenschen egal sein und die, die vernünftig sind und sich selbst schützen wollen, können das dann konsequent tun und müssen sich um rücksichtslose Mitmenschen keine Sorgen mehr machen…

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    Hannah

    Liebe Sarah,

    Wow, vielen Dank für diesen Artikel! Du sprichst mir aus der Seele und fasst perfekt in Worte, was mir gerade inmer wieder difus durch den Kopf geht.
    Und trotzdem gibt es mir gerade Hoffnung, dass wir nicht allein sind mit unserer Einstellung.
    Einfach Danke!!

    Liebe Grüße
    Hanna

  • 11
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    änn

    Liebe Sarah. Bin ganz deiner Meinung, du triffst es auf den Punkt. Klar ich finde auch nicht alles toll und kann nicht mehr alles nachvollziehen. Aber wir sollten froh sein, in DE zu leben. Musste diverse Leute/Freunde auch schon auf Facebook entabonnieren, weil ich nicht mehr lesen kann, was sie für Schrott teilen.
    Lg

  • 11
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    Ela

    Liebe Sarah,

    Danke für diese Kolumne. Du sprichst mir aus der Seele. Ich habe an vielen Stellen den Eindruck, dass das Tragen der Maske das Einzige ist, was uns noch an Corona erinnert. Ich bin traurig und wütend zugleich über dieses Verhalten, auch über die eigene Hilflosigkeit mit der man dem gegenüber stehen muss. Ich wohne selbst in München und habe die gleichen Erfahrungen im Supermarkt, UBahn usw gemacht.

    Ich finde es super, dass es scheinbar noch mehr von „uns“ gibt. Das gibt mir ein bisschen Hoffnung :)

    Liebe Grüße
    Ela

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    Sabrina

    Hallo liebe Sarah,

    Du sprichst mir aus der Seele! Das was man an menschlichen Charakterzügen kennenlernen muss in diesen Tagen ist oft erschreckender als die medizinischen Fakten.

    Der Höhepunkt war erreicht, als Kitas und Schulen geschlossen wurden. Als es dann um die Wiedereröffnung und Notbetreuung ging haben sich tatsächlich Eltern zusammengeschlossen mit der Forderung, dass man „als Eltern seinen pädagogischen Anspruch etwas herubterschrauben muss und eben andere Eltern oder Studenten eingestellt werden müssen um das fehlende Personal zu ersetzen“.

    Schockierenderweise waren die lautesten Sprecher Damen in Elternzeit oder Personen, die im Homeoffice arbeiten können. Und auf der anderen Seite gibt es dann die, deren finanzielle Existenz davon abhängt, dass das Kind betreut wird.

    An dieser Stelle ganz liebe Grüße aus eurer Heimat Hockenheim 🤗

  • 12
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    Marla

    Ich kann diesen „Schrei nach (angeblicher) Freiheit“ auch nicht mehr hören. Wo ist das Problem, ein wenig Rücksicht zu üben, sprich, Abstand zu halten, Maske zu tragen (wer nicht im Home-Office tätig sein kann, hat darunter wesentlich stärker zu leiden) und seine privaten Kontakte einzuschränken? Ganz ehrlich: Wie oft trifft man sich denn live mit Freunden und/oder Familie und in welcher Zahl? Sind das wirklich 150 oder mehr Personen?

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    Rebecca

    100 % Zustimmung!

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    Dani

    Wir können uns echt glücklich schätzen mit den paar Regeln, die wir haben.
    Meine Familie in Italien, die 2 Monate eingesperrt war und nicht mal das Dorf verlassen durfte, die hatten echte Einschränkungen. und solange es noch sehr viele Leute gibt, die gegen die Massnahmen kämpfen wollen, umso länger werden wir mit den neuen Regeln und dem neuen Alltag leben müssen. Ich vermisse es auch, meinen alten Alltag, das Reisen, und tue ALLES damit es wieder einigermassen normal wird.

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    Hallo Sarah,

    habe eben deinen Blog entdeckt und mich sehr darüber gefreut. Da mir dieser Beitrag aufgrund der Aktualität und der wieder steigenden Infektionszahlen besonders gefallen hat, wollte ich auch einen Kommentar hier lassen.

    Im Februar (kurz vor dem Ausbruch in Deutschland) habe ich ein Kind zur Welt gebracht und die Geschehnisse neben Windel wechseln, einiger schlafloser Nächte etc. mitverfolgt und das Erste an das ich dabei dachte, war stets: Nicht die Pandemie ist das Schreckliche, das da auf uns zukommt, sondern die unterschiedlichen Ansichten der Menschen um uns herum und das soziale Miteinander, das auf die Probe gestellt wird. Keine Ahnung warum, aber das macht mir bis heute – berechtigterweise – die größten Sorgen. Freunde haben sich von uns abgewandt, wir mussten uns tagelang rechtfertigen und mit Verschwörungstheorien über dem Gartenzaun wurden wir „belästigt“, da wir uns – wie vorgegeben – an die Maßnahmen hielten. Nein, es ist kein Alptraum, aus dem man glücklicherweise erwachen kann, sondern leider Realität geworden. Traurig, aber wahr.

    Wir können uns wirklich sehr glücklich schätzen, in einem Land zu leben, in dem es im Vergleich zu anderen Ländern, anders verlief. Die krasseste Aussage, die ich mir anhören musste, war gegen März/April, zum Zeitpunkt des Lockdowns: „Das ist ja hier wie im Knast. Man ist ja in allem eingeschränkt und darf einfach nichts mehr machen!“ Da konnte ich nur den Kopf schütteln, da das meiner Meinung nach in keinster Weise annährend zusammen in einen Satz gebracht werden darf und nicht der Wahrheit entspricht. Unfassbar und traurig. Hoffen wir das Beste, ein Zusammenhalt aller ist in diesen Tagen das, was zählt!

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