Gerade gestern habe ich wieder einmal einen Artikel über das Thema Body Positivity gelesen. Einer von sehr vielen Artikeln auf Blogs, in Online- und Print-Magazinen, mit denen ich mich in den letzten Wochen und Monaten beschäftigt habe. Ein Artikel, der mich wieder einmal ins Grübeln brachte. “Body Positivity”, eine Bewegung, die momentan groß bejubelt wird. Wir Frauen sollen uns in unserem Körper wohl fühlen, unsere Weiblichkeit lieben, egal ob Kleidergröße 32 oder 46. Ja, grundsätzlich eine Bewegung, die ich laut klatschend bejubeln würde. Wenn da nicht dieser wirklich fiese Beigeschmack wäre. Seit Beginn dieses Blogs ist es mir so unendlich wichtig, mich für die Vielfalt des weiblichen Körpers auszusprechen. Dafür, dass es eben nicht nur diese eine Norm von Schönheit gibt, dafür, dass man nicht nur diesem einen von den Medien geprägten Schönheitsideal hinterherrennen muss, um attraktiv zu sein.
Auch lange bevor es gewissermaßen Trend wurde, Body Positivity zu loben. Sicherlich auch aus einer persönlichen Erfahrung heraus, die mein Leben sehr geprägt hat. In meiner kurzen, aber mich nachhaltig beeinflussenden Model-Zeit, in der mir mit 15 bei einer damaligen Kleidergröße von 34/36 und dem Rat abzunehmen viel unbeschwerte Teenagerzeit zerstört wurde (Hier hatte ich einmal darüber geschrieben).
Doch zurück zum Thema Body Positivy, dem Aufruf, sich selbst zu lieben. Egal welche Kleider- oder Körbchengröße, egal ob klein oder groß, im Körper einer Frau geboren oder Transgender, egal welche Haut- oder Haarfarbe man hat. Wie gesagt, grundsätzlich eine grandiose Bewegung. Doch wie um Himmels Willen soll ein junges Mädchen lernen, sich selbst zu lieben, wenn in den sozialen Medien einzig und allein sehr schlanke Körper gezeigt und oftmals sogar offensichtlich magersüchtige Frauen mit “Body Goals”-Kommentaren gefeiert werden? Wenn eine sehr schlanke Frau in einem vielleicht nicht ganz so vorteilhaften Kleidungsstück sofort mit “darin siehst du fett aus” Kommentaren beschimpft wird? Wie soll man seinen eigenen Körper und sein eigenes Gesicht lieben, wenn im Instagram Feed nur noch vermeintliche Perfektion zu sehen ist? Wenn jeder noch so kleine Makel als inakzeptabel dargestellt wird?
Ein Zitat der Autorin Andi Zeisler, das mir im Kopf blieb:
“Es kann nicht nur um ‘Alle Körper sind schön, wenn du dich selbst liebst’ gehen, wenn dir die Welt jeden Tag das genaue Gegenteil zeigt und einredet.”
Ich habe schon des Öfteren gedacht, der Peak wäre erreicht, aber nein, es wird immer, immer extremer. Seit einiger Zeit wird nicht mehr nur gehungert, es ist völlig normal und gehört fast schon zum guten Ton, sich beim Beauty-Doc tunen zu lassen. Versteht mich nicht falsch, ich bin absolut dafür, etwas korrigieren zu lassen, wenn man stark unter einem vermeintlichen Makel leidet und dieser zur großen seelischen Belastung wird. Auch in meinem Freundeskreis hat solch eine Operation schon für ein so viel besseres Lebensgefühl gesorgt. Aber: Mich schockiert zutiefst, wenn regelmäßig der Beauty-Doc besucht wird, nur um eben dem perfekten Instagram-Schönheitsideal zu entsprechen. Wenn hübsche, natürliche, junge Frauen mit Charakter sich plötzlich zur lebendig gewordenen Barbie wandeln.
Vor kurzem schminkte mir ein Make-up-Artist meine Lippen für einen Look etwas voluminöser und fügte dabei kichernd hinzu: “Sieht gut aus. Aber lass dir jetzt bloß nicht wie alle anderen deine Lippen aufspritzen”. Eine flapsige Bemerkung, die mich zutiefst entsetzt hat. Noch nie, nie, niemals ist mir in den Sinn gekommen, meine Lippen aufspritzen zu lassen. Klar, sie könnten voller sein, aber das sind doch MEINE Lippen. “Lippen aufspritzen” ist ein aktueller Beauty-Trend. Das macht man jetzt so, wenn man dem Idealbild entsprechen will. Oftmals sogar “mal eben schnell nebenbei”. Bestenfalls werden natürlich noch allerlei andere Körperteile getunt, jeder einzelne vermeintliche Makel ausgemerzt. Und wie um Himmels Willen soll Body Positivity in einer Zeit funktionieren, in der nicht einmal mehr eine natürliche, nicht ganz so volle Lippe akzeptiert wird? Wie soll sich ein junges Mädchen mit Selbstzweifeln in ihrem eigenen Körper wohlfühlen und sich schön in einer Kleidergröße 42 fühlen, wenn ihr dauerhaft “auf Perfektion getunte Frauen” begegnen? Wie kann eine Bewegung funktionieren, wenn an anderer Stelle der Schönheitswahn immer, immer schlimmer wird?
An diesem Punkt möchte ich einmal meine liebe Freundin Maike zitieren, die Folgendes schrieb, als ich ihr den ersten Entwurf dieses Artikels schickte.
“Das Schlimme heute ist ja, dass es plötzlich nicht mehr nur die zwei, drei Beauties der Schule oder der Nachbarschaft gibt plus ein paar Stars aus den Medien – heute sind es via Social Media tausende vermeintlich perfekte Frauen und Mädchen ‘von nebenan’, die suggerieren, jeder könne ‘so schön’ sein, wenn er nur den richtigen Lippenstift, das richtige Lippenvolumen, den antrainierten Waschbrettbauch etc. hätte. Das ist gefährlich, finde ich. Gefühlt gibt es nur noch die Extreme. Wunderschön vs. Makel – und stolz darauf. Zumindest empfinde ich das so. In vielen Feeds der neuen Instagram-Mütter fällt mir ein entspannteres Körpergefühl auf – wahrscheinlich, weil man einen irren Respekt davor hat, was der eigene Körper gerade geschafft hat. Und da bin ich beim zweiten Gedanken. Es muss viel mehr um Skills gehen, und viel weniger ums Aussehen. Ums gesund sein. Nicht um: Jeder muss schön sein, selbst, wenn er es nicht ist. So what: Es gibt viel mehr im Leben. Daran arbeiten, das halte ich für wichtig. Am Sich-mit-sich-selbst-Versöhnen. Das ist die Bedeutung von Body Positivity für mich.”
Wäre das nicht genau der Ansatz, mit dem wir arbeiten sollten? Unseren Körper nicht nur auf die Optik reduzieren, wie es uns die (sozialen) Medien seit so vielen Jahren vorgeben, sondern vielmehr auf das, was er kann? All die großartigen Möglickeiten, die er uns gibt, die Wunder, die er für uns vollbringt? Uns in erster Linie ausgewogen ernähren und Sport machen, um fit und gesund zu sein? Ich möchte dem gar nicht mehr viel hinzufügen, sondern gerne das Wort an euch übergeben: Was heißt Body Positivity für euch? Wie sehr beeinflusst euch Social Media? Wie sind eure Gedanken zu diesem Thema?