Josie loves Logo gross Josie loves Logo klein

Über den Social Media Pranger und Shitstorms mit schlimmen Folgen

Rahmen

Nun möchte ich heute einmal ein Thema ansprechen, das mich seit einiger Zeit – aber insbesondere in den letzten Wochen – ziemlich beschäftigt: Kritik im Internet, die irgendwann jegliches Maß der Konstruktivität verliert, immer weiter hochgestachelt wird und in blankem Hass endet.

Ein aktuelles Beispiel: das #pinkygate in den sozialen Medien. Die Kurzfassung für all diejenigen, die den Pitch bei „Die Höhle der Löwen“ verpassten und auch sonst noch nichts von dem gigantischen Shitstorm, der auf die beiden Gründer herein prasselte, mitbekamen: zwei Jungs entwickelten ein Periodenprodukt, für das sie in der beliebten Show einen Investor suchten. Das Produkt: ein pinkfarbener Handschuh, der ermöglichen soll, einen Tampon jederzeit diskret zu entsorgen. Der Handschuh wird über die Hand gezogen, um damit den Tampon zu greifen. Anschließend wird der Handschuh umgestülpt, der Tampon darin eingewickelt und entweder eingepackt (wenn keine Toilette in der Nähe ist) oder direkt entsorgt. Ich wiederhole: ein pinkfarbener (weil Frauen eben immer totaaaal auf Pink stehen) Plastik-Handschuh. Dafür bekamen sie viel Lob und letztendlich sogar einen Deal.

Vorneweg: Auch ich fand die Idee total Banane, hätte mir diese pinkfarbenen Handschuhe niemals gekauft und konnte über eine Plastik-Lösung für die Entsorgung eines Einwegprodukts im Jahr 2021 nur den Kopf schütteln. Auch ich habe in keinster Weise verstanden, warum die beiden sehr gelobt wurden, einen Deal bekamen und beispielsweise ooia zwei Jahre zuvor mit einer wirklich sinnvollen Lösung (nachhaltige Periodenunterwäsche) nicht. Dennoch habe ich mich bewusst hier und auf Social Media nicht dazu geäußert und aus der immensen Kritikwelle herausgehalten, die anschließend auf die beiden Gründer hereinbrach.

Es wurde so draufgehauen, so dermaßen vernichtend kritisiert, als hätten die Gründer etwas erfunden, das den Status Quo der Geschlechter-Gleichberechtigung wieder in die Fünfziger Jahre katapultiert, als wäre es das sexistischste Statement, das man sich nur ausdenken könnte. Ernsthaft? Waren die pinkfarbenen Handschuhe wirklich solch ein großer Angriff auf uns Frauen, dass man die Gründer mit Hass überschütten musste? Ich denke nicht. Habe ich mich als Frau beleidigt gefühlt? Nein! Wurde das Thema Menstruation im allgemeinen tabuisiert, wie den beiden Gründern primär vorgeworfen wurde? Ebenfalls nein. Ja, es war ein unglücklicher Lösungsansatz für die Entsorgung der Tampons, aber meiner Meinung nach nicht die Tabuisierung der Periode an sich. Mich persönlich störte by the way primär, dass 2021 eine Plastik-Lösung gewählt wurde. Und dass die Aufmachung und das gesamte Konzept von „Pinky Gloves“ eher an einen Aprilscherz erinnerte.

Die Pinky Gloves wurden mittlerweile vom Markt genommen. Nun haben die Macher von Pinky Gloves ihr Business nicht etwa nur beendet, weil sie Ihre Idee überdacht hatten, sondern weil sie und ihre Familien nicht nur online massiv angegriffen, sondern sogar im „echten Leben“ auf offener Straße angefeindet wurden, ja sogar Morddrohungen erhielten. Morddrohungen!

Konstruktive Kritik ist immer wichtig und offene Diskussionen sowie die Möglichkeit, die eigene Meinung jederzeit äußern zu dürfen, ein hohes Gut. Man lernt nie aus und darf Dinge und Situation niemals einseitig betrachten. Eine eigene Meinung ist sehr wichtig, aber man sollte auch jederzeit offen für konstruktive Kritik sein. Dennoch beobachte ich momentan mit Sorge, wie jeder noch so kleine Hauch an vermeintlichem Fehlverhalten auf solch eine rabiate Art und Weise abgestraft wird, wie fließend der Übergang zwischen konstruktiver Kritik, Empörung und purem Hass ist.

Dabei sprechen sich doch alle vernünftig denkenden Menschen so sehr gegen Hass im Netz aus. Gegen dumme, unüberlegte, bösartige Kommentare, die einfach mal rausgehauen werden. Aber mit dem extremen Sturm der Kritik, der immer häufiger losgelöst wird, kommt eben genau dieser Hass auch als Begleiterscheinung. „Das haben wir nicht gewollt!“, wird schnell zurückgerudert. Ja, Kritik ist richtig und wichtig. Aber man sollte auch diese reflektiert äußern und immer zwei Mal überlegen, bevor man „einfach draufhaut“. Insbesondere wenn man eine große Reichweite auf Social Media hat.

Ich bin selbst eine Frau und glaube, ganz gut einschätzen zu können, was denn nun frauenfeindlich ist und was nicht. Was bösartig sexistisch oder einfach nur „dumm gelaufen“ ist. Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist so, so wichtig und in vielen Punkten leider nach wie vor nicht gegeben. Oh ja, dafür lohnt es sich sehr zu kämpfen und ich finde es toll, dass es da draußen so viele engagierte Feministinnen gibt, die sich mit so viel Leidenschaft für diese Themen einsetzen.

Chris fasste das vor kurzem ganz treffend zusammen: „Mittlerweile wird oftmals auf jedes noch so kleine Detail so draufgehauen, dass sich komplett verzettelt wird und das große Ganze in Vergessenheit gerät.“

Am Rande auch kurz ein paar Gedanken zu #allesdichtmachen. Die Kampagne ist inhaltlich sicherlich nicht geglückt, da muss man nicht diskutieren. Und manche der Videos, die Kritik an der Corona-Politik äußerten, waren gewiss in keinster Weise konstruktiv. Aber im Bezug auf die aktuelle Situation gibt es nicht nur „Schwarz“ und „Weiß“. Kritik und freie Meinungsäußerungen sind wichtig in der Demokratie, in der wir leben. Und ja, sicherlich läuft aktuell politisch vieles nicht ganz so, wie es vielleicht laufen sollte. Insbesondere die Kulturschaffenden, für die jene Schauspieler*innen ihre Stimme erheben wollten, sind extrem betroffen. Aber zum einen sollte man bei so harter Kritik auch einen Gegenvorschlag liefern, zum anderen sollte man sich bei gewissen Ansätzen bewusst sein, dass man äußerst bedenklichen Gruppierungen mit seinen Aussagen in die Karten spielt. Dennoch sind auch hier die Kritik-Ausmaße bis zu Morddrohungen wieder so extrem geworden, dass man nur noch den Kopf schütteln kann. Wo soll das alles noch hinführen?

2021 sind wir im Kampf gegen Diskriminierung weiter denn je, aber auch in der Verurteilung gnadenloser als je zuvor. Niemandem darf Rassismus oder Sexismus widerfahren und Diskriminierung ist etwas, das ich zutiefst verurteile. Aber wo sind wir mittlerweile angekommen, dass man Morddrohungen für die Erfindung einer einfach nur unglücklichen Geschäftsidee bekommt?

Wie immer freue ich mich sehr über einen offenen Austausch in den Kommentaren und übergebe an dieser Stelle an euch, die Josie loves Leser*innen!


YOU MAY ALSO LIKE

5 Kommentare

  • 29
    04
    2021
    21
    Sarah

    Soo true ! Noch krasser fand ich das mit Kasia Lenhardt, die sich wohl am Ende ua auch dehalb umgebracht hat. Die Welt ist völlig aus dem Gleichgewicht geraten,alles nur noch Irrsinn!

  • 29
    04
    2021
    21
    Tina

    Richtig gut zusammengefasst 👏👏👏

  • 29
    04
    2021
    21
    Anna

    Ich beobachte das gleiche, was du beschreibst, vor allem bei Frauen, die sich vermeintlich für Minderheiten oder gegen Diskriminierung einsetzen. Wenn man da mal länger in der „Bubble“ unterwegs ist, packt einen wirklich das Gruseln. Da werden Shitstorms organisiert, Einzelpersonen an den Pranger gestellt, kleine Fehler nicht geduldet. Da sind manche so in ihrer akademischen Sprache und politischen Über-Korrektheit verhaftet, dass ich mich manchmal frage, ob mit ihnen ein normales Gespräch oder Zusammenleben eigentlich noch möglich ist. Da wird das Wort „Kalorien“ „K*lorien“ geschrieben, um Menschen nicht zu Triggern, die Essstörungen haben, wer „Übergewicht“ statt „Mehrgewicht“ sagt, ist fettfeindlich. Eine weiße Frau mit Dreadlocks wurde dermaßen verbal vernichtet, weil das kulturelle Aneignung ist etc. etc. Ich sehe bei so Shitstorms auch immer die gleichen Nasen, oft schreiben sie sich „Feminismus“ oder „Intersektionalen Feminismus“ auf die Fahne, an allem ist IMMER das Patriarchat schuld, wir sind alle voll von internalisierter Misogynie und Rassismus und was weiß ich nicht alles, und sie selber gehen auf Leute los in einer Art und Weise, bei der mir ganz anders wird. Mein Impuls ist dabei immer, mich auf die Seite des Angegriffenen zu stellen, einfach weil diese Shitstorm-Gewalt zu heftig ist, und man doch automatisch das „Opfer“ beschützen will, auch wenn es vielleicht etwas falsch gemacht hat.
    Ich beobachte das schon länger und bin den Drahtziehern dieser Bubble mittlerweile entfolgt. Eigentlich wollte ich bewusst meinen Stream auf Insta diverser gestalten aber irgendwann hat es mich nur noch genervt, wie man aus jeder Kleinigkeit ein Riesending machen kann und dann Mobbing und Hetze als „Aktivismus“ verkauft. Naja, mal sehen wo das noch hingeht, bei mir erreichen sie nur, dass ich mich dann mit den Themen kaum mehr aktiv auseinandersetzen will :/

  • 30
    04
    2021
    21
    Marla

    Sehr richtig! Es reicht jetzt wirklich. Kaum eine Diskussion, die natürlich auch kontrovers geführt werden darf, aber bitte sachlich!!! Ob dieselben Leute, die auf Social Media herumpöbeln, das auch von Angesicht zu Angesicht ranzen würden? Ich fürchte, so weit ist es gekommen. Diese künstliche Aufgeregtheit steigert sich zunehmend und nicht erst im Lockdown. Über blöde Geschäftsideen z. B. kann man den Kopf schütteln oder einfach lachen. Niemand wird zum Kauf gezwungen. Und viele politische Entscheidungen sind sicherlich zu hinterfragen, dafür ist eine Demokratie da, aber ebenfalls bitte sachlich und ohne persönlich zu werden. Das scheinen erschreckend viele Zeitgenossen vergessen oder gar nicht erst gelernt zu haben.

  • 02
    05
    2021
    21
    Fanny

    Ich kann mich Marla nur anschließen!

  • Schreibe einen Kommentar zu Anna Antwort abbrechen