In meinem Montags-Update hatte ich schon angekündigt, dass ich ein paar Zeilen zu einem Thema schreiben möchte, das in den (sozialen) Medien seit einer Woche hohe Wellen schlägt: der Maskenskandal rund um Fynn Kliemann. Darüber wurde in den letzten Tagen schon sehr viel gesprochen und geschrieben. Mir kamen in diesem Zusammenhang aber noch ein paar ganz andere Gedanken. Und diese möchte ich heute mit euch teilen.
Die Kurzfassung zum Skandal, um hier die Grundlage dieser Kolumne wiederzugeben: Fynn Kliemann, Online-Persönlichkeit, Unternehmer, Musiker und Vorbild für sehr viele Menschen hat zu Beginn der Corona Krise angeblich zum Selbstkostenpreis Masken in Portugal und Serbien gefertigt, um zum einen mit den dringend benötigten (fair produzierten!) Masken zu helfen und zum anderen die Arbeitsplätze vor Ort zu sichern. Eine so richtig vorbildliche Aktion, die damals sehr gefeiert wurde. Jan Böhmermann deckte nun in einem langen Beitrag in seinem ZDF Magazin Royale auf, dass Fynn die Masken günstig in Bangladesh und Vietnam fertigte und – soweit zumindest der auf der Veröffentlichung privater Nachrichten begründete Verdacht – sich daran selbst bereicherte und zum anderen seine Community sowie Geschäftspartner wissentlich täuschte. Soweit der aktuelle Stand. Hier könnt ihr euch den gesamten Beitrag anschauen, falls ihr ihn noch nicht gesehen habt.
Was er gemacht hat, ist Betrug und aus menschlicher Sicht sowieso ein absolutes Unding. Soweit, so klar. Er wird gewiss völlig zurecht berufliche und vermutlich auch rechtliche Konsequenzen erleben. Vom Vertrauensverlust seiner Community ganz zu schweigen. Dennoch finde ich es erschreckend, wie vernichtend der darauf folgende Shitstorm schon wieder ist. Man hat aktuell das Gefühl, viele Menschen warten nur darauf, dass die nächste Social Media Persönlichkeit einen Fehler macht, um sie online zu vernichten. Nicht ohne Grund gibt es mittlerweile sogar einen Begriff dafür: „Cancel Culture“. Und Personen werden bereits für weitaus harmlosere (und oftmals noch gar nicht bewiesene) Vergehen als das des Fynn Kliemann „gestrichen“.
Abertausende Menschen, die alle offenbar noch nie einen Fehler gemacht haben (Achtung: Sarkasmus!) warten darauf, dass andere sich einen Fehler leisten. Nicht falsch verstehen: Ich finde auch zutiefst verwerflich, was da passiert ist, wenn denn wirklich alle Vorwürfe stimmen. Aber zwischen Kritik und dem, was da auf Social Media in den Kommentaren abgeht, gibt es einen Unterschied.
Doch kommen wir nun zu meinem eigentlichen Thema, das ich gerade schon etwas angerissen habe. All den fehlerfreien Menschen. Unter denjenigen, die ihrer Wut auf Fynn Kliemann online freien Lauf lassen, finden sich auch so viele in ihrer eigenen Darstellung moralisch überlegene Influencer, die sich jetzt echauffieren und ihm wünschen, dass er nie wieder Boden unter den Füßen bekommen wird. Weil er ja etwas so Schlimmes getan hat. Seine Community und Geschäftspartner belogen hat. Unehrlichkeit, Betrug. Und es irritiert mich, wenn ich sehe, wie ausgerechnet diejenigen solche Kommentare schreiben, die ebenfalls Geschäftspartner und ihre Community betrügen. Wissentlich. Indem sie seit Jahren Follower und Likes kaufen. Die Höhe ihrer Honorare an Fake-Followern festmachen, sich emotional bei einer unechten Community bedanken, dass sie wieder einmal eine bestimmte Followerzahl geknackt haben. Sich selbst für ihren Fleiß loben, mit dem sie sich ihre Followerzahl hart erarbeitet haben. Das ist teilweise so absurd, dass ich nicht weiß, ob ich lachen oder weinen soll. Und erinnert sehr an Fynn Kliemann, der sich in den Medien über diejenigen echauffierte, die sich an solch einer Krise bereichern. Personen, die sich für ihre eigene Transparenz und Authentizität feiern und selbst ordentlich nachgeholfen haben sehe ich auf Social Media Tag für Tag für Tag. Und das ist etwas, das mich beruflich und erst recht persönlich nicht kalt lässt.
Ich finde, wenn wir schon über Betrug sprechen und Betrug als eines der schlimmsten Vergehen angesehen wird, dann muss auch dieser Aspekt beleuchtet werden. Ja, der Fynn Kliemann Skandal ist größer und medienwirksamer als das Betrügen eines einzelnen Influencers mit 500.000 Fake Followern. Und sich als selbsternannter Gutmensch an der Not anderer Menschen zu bereichern ist einfach nur ekelhaft und moralisch sicherlich noch einmal schlimmer, als „nur“ seine Geschäftspartner zu betrügen.
Aber wenn wir mal gegenrechnen, wie unfassbar viel Geld viele Personen mit einer gekauften Reichweite verdienen, wie viele Millionen unzählige Firmen dadurch einfach verbrennen, dann ist dieser Skandal eigentlich so viel größer. Würde Jan Böhmermann mal enthüllen, wie viele Influencer in Deutschland bei ihren Followern, den Likes, den Story Aufrufen faken und wie viel Geld sie damit verdienen, dann würde vermutlich einiges ins Wanken geraten.
Doch es geht noch weit über das eigentliche Betrügen hinaus. Fast genauso schlimm finde ich das Schweigen, das „einfach hinnehmen“, das Mitwissen der PR Agenturen. Die eben lieber Fake hinnehmen, um dem Kunden gute Zahlen zu präsentieren, als jemanden auszuwählen, der ehrlich arbeitet, aber schlechtere Zahlen hat.
Ich stehe da mittlerweile drüber, aber manchmal muss ich schon sehr schlucken, wenn man mit einer Marke in Verhandlungen steht und sie letztendlich absagt, da sie „jemanden mit mehr Engagement nehmen“. Dann geht die Kooperation kurz darauf bei jemandem online, der so offensichtlich besch****, dass es auch jeder PR Anfänger sofort erkennen muss, wenn er sich auch nur zwei Sekunden mit der Materie beschäftigt.
Und so viel passiert wissentlich. Mittlerweile beinhalten viele Kooperationsverträge die Klausel, dass man nichts unternimmt, um die Zahlen künstlich nach oben zu treiben. „Ein Schritt in die richtige Richtung“ denke ich mir, während ich den Vertrag unterzeichne. Dann sehe ich, dass Kollegen und Kolleginnen die gleiche Kooperation eingehen und dabei offensichtlich betrügen. Wurde denjenigen der gleiche Vertrag vorgelegt? Oder haben sie diese Klausel vorab gestrichen? Wohl kaum!
Seit einer Woche liest man täglich „diese Firma distanziert sich von Fynn Kliemann“ oder „Start-up XY arbeitet nun nicht mehr mit ihm zusammen“. Vollkommen verständlich. Soweit, so gut. Aber warum um Himmels Willen arbeiten (zum Teil genau diese ) Firmen dann munter weiter mit anderen Influencern zusammen, die sie ebenfalls betrügen. Nicht nur „in einem anderen schlimmen Fall“ betrogen haben, sondern konkret SIE. Konkret falsche Angaben machen, sie betrügen und belügen. Ich rede hier nicht von Einzelpersonen, sondern von einer ganzen Branche.
Man darf nicht alle in einen Topf werfen, es gibt natürlich auch viele Influencer, die ehrlich arbeiten. Aber vermutlich mittlerweile mehr, die das nicht tun. Manchmal denke ich, um ein großer, erfolgreicher Influencer zu sein, hat man keine andere Wahl, als in irgendeiner Form „nachzuhelfen“. Einer von vielen Gründen (Oh ja, da gibt es noch so viele andere Gründe), warum ich mich persönlich dagegen entschieden habe, eine Influencer Karriere anzustreben und mich weiterhin auf die redaktionelle Arbeit auf dem eigenen Blog und für unsere Kunden konzentriere. Aber das ist ein anderes Thema. Dennoch hängt ein Teil meines Jobs von Instagram ab. Würde ich aktuell mehr Geld verdienen, wenn ich 500.000 Follower hätte? Mit Sicherheit. Vermutlich würde das mit der Größe unseres Blogs auch kaum jemand hinterfragen. Amüsanterweise wurde ich schon so oft gefragt, warum ich denn mit der großen Bekanntheit unseres Blogs nur „so wenige“ Instagram Follower habe. Aber wie gesagt: anderes Thema. Es geht mir mit diesem persönlichen Bezug mitnichten darum zu jammern, vielmehr möchte ich unterstreichen, dass ich mich mit dieser Thematik gut auskenne.
Wie immer möchte ich stattdessen die Worte an euch übergeben. An diejenigen, die selbst beruflich mit Social Media zu tun haben und diejenigen, die Instagram und Co nur konsumieren. Wie sind eure Gedanken rund um den Fynn Kliemann Skandal, die Cancel Culture und Doppelmoral im Social Media Bereich? Ich bin sehr gespannt auf eure Kommentare!
Apropos Kommentare: Das ausführliche Statement von Fynn Kliemann steht noch aus, nachdem er in seiner ersten, sehr spontanen Stellungname die Schuld eher anderen zuwies und damit den Shitstorm nur noch vergrößerte. Aktuell hat er laut eigener Aussage „einen riesigen Knoten im Kopf“. Aber er verspricht zu antworten, sobald er „Klarheit über die Details“ habe.