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Ist Siezen noch zeitgemäß?

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Vor kurzem stellte ich im Gespräch mit Freunden eine These auf: „Ich glaube, dass das Siezen mit unserer Generation ausstirbt“. Und genau diese These würde ich heute super gerne mit euch besprechen. Zur Erklärung: Bekomme ich eine (deutlich) ältere Person vorgestellt, ist es für mich selbstverständlich, sie zu siezen. Das war schon immer so und wird vermutlich auch immer so sein. Einen Lehrer in der Schule duzen? Undenkbar! Auch die Eltern meiner Freunde wurden früher immer gesiezt – bis sie mir das Du anboten. Erwachsene wurden immer automatisch gesiezt. Punkt.

Es war by the way damals (alias 2005) ein riesengroßes Ding, als mein Papa Chris feierlich das Du anbot. Bei einem Glas Sekt. Das war gleichzusetzen mit „Ich weiß, dass das mit meiner Tochter etwas Ernstes ist.“

Nun bin ich selbst erwachsen. „So richtig erwachsen“ – das trifft bei einem Alter von 33 Jahren wohl ganz gut zu. Und es fühlt sich nach wie vor irgendwie schräg an, wenn ich von Jüngeren gesiezt werde. Wenn ich im privaten Umfeld jemanden Gleichaltrigen vorgestellt bekomme, würde ich im Leben nicht auf die Idee kommen, mich mit meinem Nachnamen vorzustellen und die Person zu siezen. Selbstverständlich ist für mich das Siezen, wenn ich vollkommen Fremde treffe – beispielsweise im Bereich Service, in Restaurants, beim Arzt, und natürlich sieze ich auch die Beamtin am Postschalter.

Sympathischerweise ist bei uns im Glockenbachviertel in München das Du gängig. Es ist eher unüblich, dass man im Café gesiezt wird, und auch unter Nachbarn stellt man sich sofort mit dem Vornamen vor und ist per Du.  Das ist im beruflichen Umfeld meist nicht anders. Das liegt aber natürlich auch an meiner Branche, in der das Du gängig und das Siezen eher unüblich ist. Als ich Anfang 20 war und mir bei meinem Volontariat mein über 20 Jahre älterer Chef mit dem Vornamen vorgestellt wurde, fand ich das damals ziemlich schräg – und vermied die Situation einer direkten Ansprache. Ja, es hatte eindeutig etwas mit „zu viel Respekt“ zu tun. Meist sind es „Respektspersonen“, bei denen das Siezen selbstverständlich ist. Aber genau hier möchte ich ansetzen: Denn haben wir nicht eigentlich am meisten Respekt vor den Menschen, die uns persönlich am Herzen liegen und wichtig sind? Mal abgesehen davon, dass man vor absolut jedem Menschen Respekt haben sollte. Das Siezen hat in gewisser Weise immer etwas mit Distanz zu tun. Und hat Distanz im zwischenmenschlichen Kontext nicht meist auch einen negativen Hauch?

Eine kleine Anekdote am Rand: Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn Chris in irgendeiner Situation angepöbelt oder unfreundlich behandelt wird, derjenige ihn automatisch duzt und Chris an allererster Stelle erklärt: „Ich kann mich nicht daran erinnern, Ihnen das Du angeboten zu haben!“ Dann ist das Gegenüber erst einmal perplex. Denn für viele ältere Menschen ist es selbstverständlich, auch einen dreißigjährigen Fremden zu duzen, aber selbst natürlich gesiezt zu werden.

Nicht falsch verstehen: Ich würde niemals einen fremden, deutlich älteren Menschen nicht siezen, wenn er mir nicht konkret selbst das Du anbietet. Nichtsdestotrotz geht es mir hier eher um meine Generation, in der das Du immer selbstverständlicher wird. Und ehrlich gesagt hätte ich nichts dagegen, wenn das „Sie“ komplett abgeschafft wird. Ist es nicht schlicht und einfach eine unnötige Gewohnheit, in gewissen Situationen zu siezen, in anderen zu duzen? Hat man zu seinem Chef nicht auch die nötige Distanz, wenn man sich duzt und dennoch professionell miteinander umgeht? Ob man sich beim Vor- oder Nachnamen anspricht, siezt oder duzt, sollte nun wirklich nicht über das Verhältnis zu einer anderen Person entscheiden. Wie gesagt, Respekt von jedem für jeden sollte selbstverständlich sein.

PS: Ich fand es herrlich sympathisch, als unser nur wenige Jahre älterer Steuerberater uns nach einiger Zeit das Du anbot. Ist unsere „Beziehung“ jetzt weniger professionell? Selbstverständlich nicht!

PPS: Einen sehr guten Artikel habe ich bei meiner „Ist Siezen noch zeitgemäß?“-Recherche bei EDITION F gefunden –> „Sechs Gründe, warum wir uns vom Siezen verabschieden sollten“. Sehr lesenswert!

So, und nun seid wie immer ihr gefragt: Wenn ihr Freunde von Freunden vorgestellt bekommt, seid ihr dann automatisch beim Du? Möchtet ihr von Jüngeren gesiezt werden? Und wie wird es bei euch im Job gehandhabt? Ich freue mich auf eure Kommentare!


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11 Kommentare

  • 11
    10
    2019
    19
    Mari

    Spannendes Thema! Ob ich ein Abschaffen des Siezens sinnvoll fände, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Ich finde, es ist sehr abhängig vom Gegenüber bzw. ob eine Person mit der vermeintlich geringeren Distanz umgehen kann. Privat lasse ich mich gar nicht Siezen und werde auch im „öffentlichen“ Leben (z.B. in Cafes, in Läden etc.) sehr oft geduzt, was ich sehr begrüße :-) Im Berufsleben finde ich es schwieriger, da ich in einer konservativen Branche (Kanzlei) arbeite. Bei uns wird nur innerhalb der Hierarchiestufen geduzt, d.h. Anwälte untereinander, Anwaltsanwärter untereinander und nicht-anwaltliche Mitarbeiter untereinander. Ich stimme dir vollkommen zu, dass durch Siezen eine gewisse Distanz geschaffen wird. Ob diese gut oder eher negativ ist, ist nach meinen Erfahrungen jedoch sehr individuell. Es gibt Leute, die mit dem „Du“ absolut umgehen können und trotzdem den gegenseitigen Respekt wahren. Das sind aber oftmals ohnehin die Personen, die auch mit einem „Sie“ eine lockere und entspannte Atmosphäre schaffen können. Ich habe es aber auch schon bei meinem Berufseinstieg erlebt, dass beim hierarchieübergreifenden Duzen die Distanz gerade durch die höher gestellte Person nicht mehr gewahrt wird, z.B. durch durch recht private Nachfragen (natürlich kein „Angraben“, sondern einfach neugieriges Ausfragen), unlustige Witzchen zu meiner Person oder viele private Botengänge, die nichts mit dem Büro zu tun hatten. Da ich zu dem Zeitpunkt noch sehr grün hinter den Ohren und gerade von der Uni ins Berufsleben gepurzelt war, hab ich mich in meiner „niedrigeren“ Position nicht großartig gewehrt. Wäre es damals einfach beim Siezen und der damit verbundenen Distanz geblieben, wäre das für mich sicherlich angenehmer gewesen. Vielleicht würden solche Auswüchse aber auch weniger werden, wenn Duzen einfach der Standard würde und nichts mit Hierarchie oder Distanz zu tun hätte. Da müssten dann alle Beteiligten aber trainieren und langsam daran gewöhnt werden, dass Duzen nicht automatisch heißt, dass man jetzt eine total private und „persönliche“ Beziehung hat.

  • 11
    10
    2019
    19
    Susanne

    Mein Vater, Jahrgang 1926, hat in seinem ganzen Berufsleben nur einen Kollegen geduzt.
    Als ich 1979 meine Lehre begann habe ich alle gesiezt bis auf eine andere Auszubildende. Es gibt aus meiner Erfahrung Branchen, in denen das „Du“ üblich ist wie Spedition, Schifffahrt, Handwerk. Da ist ein „Sie“ störend.Bei einem Verband und einer Privatuniversität habe ich mich nur mit einigen gleichgestellten Kollegen geduzt, sonst war das „Sie“ verbindlich.
    Die Zeiten ändern sich und jeder entwickelt ein Gefühl dafür wann ein „Du“ oder „Sie“ angebracht ist. Aber ich glaube auch, dass das „Sie“ aussterben wird.
    Viele liebe Grüße
    Susanne

  • 12
    10
    2019
    19
    An

    Liebe Sarah,

    super Beitrag! Bin eher stille Leserin, aber hier muss ich auch mal kommentieren. Gerade in letzter Zeit fällt mir in der Arbeit (Industrie) auf, dass immer mehr geduzt wird. Oftmals finde ich es aber auch ungebracht, wenn zB über den Vorstand gesprochen wird und der Vorname benutzt wird. Manchmal kommt das dann so rüber, wie ich darf ihn duzen, du nicht.
    Wirklich ein schwieriges Thema über das wir auch im Büro oft sprechen, da gibt es zB Leute, die möchte man gar nicht duzen bzw. wird dann doch irgendwann das Du angeboten, vermeidet man es auch gerne, weil man es komisch findet.
    Mir wurde es aber auch so gelernt, dass der (diensts)ältere das Du anbietet und man ältere nicht einfach so duzt. Gerade das fällt mir auch auf bei Kollegen, die ihre Ausbildung nicht bei uns gemacht haben. Die sind teilweise mit Leuten per du bzw. duzen einfach, die ich nach X Jahren immer noch Sieze.
    Es würde vieles denke ich leichter machen, wenn alle per du wären und es kämen auch nicht mehr so komische Sätze dabei raus, es zu vermeiden. Aber ob ich wirklich jeden Duzen möchte, ich weiß es nicht.

    LG
    An

  • 12
    10
    2019
    19
    Jessi

    Also in meinem beruflichen Umfeld (Krankenhaus) kann ich mir den Alltag ohne „Sie“ nicht vorstellen! Es geht nicht um Kollegen, sondern eine adäquate Distanz zu Patient*innen. Als junge Frau in dem Beruf hat man es mit ernstgenommenwerden (grade auch von der älteren Generation) so schon nicht leicht. Privat bin ich auch schnell beim „Du“, keine Frage. Also bitte nicht abschaffen, sondern sich über die Vielfältigkeit unserer Sprache freuen!

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      2019
      19
      Liv

      Ich bin Ärztin und ich will auch auf gar keinen Fall von meinen Patienten geduzt werden. Diese professionelle Distanz finde ich in unserem Beruf sehr wichtig, zumal wir die Patienten ja teilweise auch in sehr intimen Situationen sehen (Intimpflege, Untersuchungen im Intimbereich etc).
      Mit der Pflege und unter den Ärzten sind wir per Du, mit Ausnahme vom Chefarzt (da ist man je nach Klinik per Du oder per Sie).
      Im privaten Umfeld bin ich aber auch pro Duzen und auch im Restaurant etc ist mir das egal, ob ich gesiezt oder geduzt werde.

  • 12
    10
    2019
    19
    Sarah

    Ich könnte gut und gerne auf das Sie verzichten. Gerade im beruflichen Umfeld kostet es mich oft Nerven – einfach weil es keine eindeutigen Regeln gibt, wer wem wann das Du anbieten darf / sollte. Denn zum Alter kommt dann noch die Frage nach der Hierarchie (wenn ich eine höhere Position als meine älteren Kollegen habe, muss eigentlich ich das Du anbieten – aber ab einem gewissen Alter der Kollegen müsste es dann doch wieder der Ältere sein) und zusätzlich gibt es einige (etwas ältere) Männer, die finden, dass grundsätzlich die Frau das Du anbieten muss etc. Ich schreibe mir übrigens schon seit Beginn meiner Karriere immer bei den Kontakten dazu, mit wem ich per Du bin und das hat mir insbesondere als ich nach längere Abwesenheit wieder ins Unternehmen zurück bin sehr geholfen.

  • 13
    10
    2019
    19
    Marla

    Hm, gar nicht so einfach. Kommt immer auf das Umfeld an. Ich arbeite und lebe eher in einem „Duz-Umfeld“, möchte aber auf das „Sie“ als distanzwahrende Anrede allgemein nicht verzichten. Bin ich neu in einem irgendeinem Kreis, halte ich nach Chamäleon-Art: Umgucken und anpassen.

  • 13
    10
    2019
    19

    Hallo Sarah,

    eine ganz spannende Frage, die du da aufgeworfen hast (siehst du, wir kennen uns nicht und trotzdem duze ich dich gleich – wir liegen altersmäßig nicht weit auseinander, nur 1-2 Jahre).
    Im Job sieze ich eigentlich jeden Bürger, Geschäftspartner etc, der zu mir kommt oder anruft. Und meinen Chef. Da kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, ihn zu duzen, das wäre mir zu persönlich. Gerade als Sekretärin möchte ich das Siezen unbedingt beibehalten. Ausgenommen sind meine Kollegen – wir duzen uns alle. Anders war das noch als ich 2001 mit der Ausbildung begann – da hat man „die Alten“ aus Respekt gesiezt, duzen wäre einem da gar nicht im Traum eingefallen.

    Eine Situation im Job, bei der ich vom duzen zum Siezen zurückgewechselt bin: es rief mich jemand an, der aus dem gleichen Ort wie ich kommt und wir haben uns schon immer geduzt. Derjenige hatte total miese Laune und hat mich total angefahren – für etwas, wozu ich nichts konnte. Da bin ich dann zurück zum „Sie“ gewechselt, in der Hoffnung, dass er kapiert, dass es nichts persönliches ist.

    Ich habe gelernt, dass man Respektspersonen (Polizisten, Lehrer, Pfarrer etc) und Ältere siezt und man sie erst duzen darf, wenn sie es einem angeboten haben. So handhabe ich das auch heute noch. Klar komme ich mir mit meinen bald 35 auch komisch vor, wenn mich jemand jüngeres siezt, aber so ist das halt. :) Ich sage nur dann von vornherein „du“, wenn das gegenüber definitiv (wesentlich) jünger ist als ich oder ich frage direkt „darf ich Du sagen?“ oder wenn sich die Person gleich mit dem Vornamen vorstellt.

    Das „Sie“ abzuschaffen, fände ich persönlich schade, weil man damit trotzdem eine gewisse Distanz halten kann – nicht nur im Job.

    Liebe Grüße

  • 14
    10
    2019
    19

    Ich finde die Variante aus Vornamen + Sie auch nicht schlecht. Im Job zum Beispiel (ich arbeite im Büro eines Industriebetriebs) könnte man einen neuen Auszubildenden so ansprechen, „Magdalena, könnten Sie bitte..“ Oder eine(n) Kollegin/Kollegen den man länger kennt, vertraut aber evtl.wegen Altersunterschied doch siezen möchte?
    Im Großen und Ganzen würde ich das Siezen aber nicht abschaffen wollen.
    LG Steffi

  • 17
    10
    2019
    19
    Andrea

    Ich arbeite in Österreich und habe viel mit ÄrztInnen, ProfessorInnen usw. zu tun. Da ist das „Sie“ unumgänglich und zusätzlich noch darf ich es nicht verabsäumen diese mit dem vollen Titel anzuschreiben: „Sehr geehrter Herr Univ.-Prof. Dr. Dr. Mustermann, MSc!“
    Von Kolleginnen aus dem selben Arbeitsumfeld in der Schweiz weiß ich aber, dass es dort viel lockerer ist, keiner auf seinen Titel besteht und das „Du“ normal ist.
    Generell fände ich es super, wenn es – wie im Englischen – einfach gar keine Höflichkeitsform gäbe! Aber im deutschsprachigen Raum wird uns die Höflichkeitsform wohl immer erhalten bleiben.

  • 16
    11
    2021
    21
    Lukas

    Auf der Suche nach der Relevanz des Siezens im Jahr 2021 bin ich hier gelandet, da wir im Freundeskreis letztens eine spannende Diskussion darüber hatten.
    Erstmal würde ich sagen haben sich die Personen und Situationen geändert wo man duzt/siezt. Vor 130 Jahren wurde die Eltern noch gesiezt, vor 50 Jahren hat man bei privaten Kontakten zunächst gesiezt und heute ist das im privaten Umfeld für mich nahezu kein Thema mehr (außer vielleicht bei Omas Freundinnen, die man beim Besuch dort trifft).
    Im beruflichen sehe ich das anders. Ein Sie schafft Distanz, das haben hier einige festgestellt und irgendwie wird das häufig negativ gewertet. Besonders im Job finde ich diese Distanz aber (vor allem anfangs) wichtig.
    Ein Beispiel: wenn jemand 2m von mir wegsteht, dann kann er/sie mich ohne Hilfsmittel oder Näherkommen nicht verletzten (bspw. schlagen/treten). Genau so ist es mit der Distanz vom Sie: eine Tirade eines Kunden mit dem ich per Sie bin nehme ich mir weniger zu Herzen als beim Du. Auch übers Gehalt oder andere Arbeitsbedingungen kann ich besser mit dem Chef diskutieren, wenn wir beim Sie sind.
    Ich weiß natürlich, dass es in vielen Berufen (Handwerk, Produktion in der Industrie, etc.) normal ist sich zu duzen, für meinen Beruf trifft das aber nicht zu.
    Im Übrigen sehe ich das auch einem privaten Bereich so: wenn ich privat Geschäfte mache (z.B. mit dem Bankberater, Versicherungen, Beratung im Elektrogeschäft,…).

    Abschließend vielleicht so gesagt: ein „Sie“ schafft emotionale Distanz. Das muss aber nichts schlechtes sein, denn auch körperlich möchte ich nicht jeder Person besonders nahe sein.

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